Entlang des Euroradwegs R1 (von Horn bis Lutherstadt/Wittenberg)
Die erste Nacht unserer Reise verbrachten wir etwa 10 km hinter Schloss Nordkirchen auf einem kleinen Hof. Nach einer eisigen Nacht starteten wir den Tag mit einer Tasse Kaffee in Richtung Lippeauen. Die eiskalten Finger wurden zum Glück bei der Bewegung auf dem Rad relativ schnell wieder warm und bei unserem späten Frühstück auf einer kleinen Bank zwischen Feldern und bei Sonnenschein war die Kälte von heute früh schon wieder vergessen. Das flache Münsterland wechselte sich allmählich mit einer leichten Hügellandschaft ab. Trotz dem schweren Gepäck und den Radwegen die sich links und rechts um die Ackerfelder schlängelten, kamen wir relativ gut voran.
An einem an der Lippe gelegenem Naturschutzgebiet, den Lippeauen und Disselmersch, machten wir eine kleine Mittagspause und beobachteten während dessen die Natur und Vogelwelt. Das dort ansässige Tüpfelsumpfhühnchen wollte sich uns allerdings nicht zeigen. Einen Schlafplatz fanden wir endlich nach gut 100 km kurz vor Paderborn zwischen ein paar Feldern. Das war die erste Nacht in der wir wildcampen mussten.
Durch dicke Nebelbänke ging es morgens früh auf regionalen Radwegen zunächst vorbei an einigen beschaulichen Schlössern. Mittags kamen wir am Truppenübungsplatz Sennelager an, von wo aus es weiter durch einige Kiefernwälder zur Quelle der Lippe in Bad Lippspringe ging. Nun langen die ersten ordentlichen und scheinbar endlosen Steigungen vor uns. Bevor wir am späten Nachmittag in Horn und bei den Externsteinen ankamen führte uns der Radweg über schwergänige Schotterwege und durch imposante Tannenwälder. Hier fuhren wir an einem Wegweiser vorbei, er zeigte uns an, von hier aus sind es nur noch ca. 4520 km bis zum Nordkap…
Ab Horn stießen wir dann auf den Europa-Radwegs R1 dem wir, bis auf einige Abzweigungen, bis Lutherstadt-Wittenberg folgten. An den nächsten Tagen fuhren wir an zahlreichen wunderschönen Altstädten vorbei. Die Landschaft hier erinnerte uns sehr an das Voralpenland mit saftig grünen Wiesen und kleinen hölzernen Viehställen auf den Weiden.
Höxter empfang uns mit einer imposanten Stadtmauer, hinter der einige urige Fachwerkhäuser hervorlugten. Der Radweg brachte uns schnurstracks an der beschaulichen Altstadt dran vorbei und direkt runter zum Ufer der Weser. Also hier gerne mal einen Schlenker durch die Stadt wagen. Am Flussufer und vorbei am Weltkulturerbe Kloster Corvey lief es wie von selbst. Gute Fahrbahn, Sonnenschein und etwas Rückenwind.
Am nächsten Morgen füllten wir gleich unsere Essensvorräte in Bevern bei Holzminden auf und im gleichen Zuge besichtigten wir das Wasserrenaissanceschloss des Ortes. Lange endlose Steigungen folgten auf diesem Streckenstück ebenso langen Abfahrten. Eine weitere nette Altstadt fanden wir bei der Ortsdurchfahrt von Bad Gandersheim. Nach einer abenteuerlichen 15% Abfahrt versuchten wir unser Glück beim wildcampen in einem kleinen Waldstück in der Gegend um Wolperode. Als wir feststellten, dass unsere Kleidung übersäht von etlichen Zecken war, verworfen wir die Idee und schlugen unser Lager wieder einmal beim Bauern um die Ecke auf. Nachts flogen über uns die Eulen hinweg. Morgens wurden wir von den Spatzen geweckt und in der Scheune neben uns hatte ein Turmfalken-Paar ihr Liebesnest.
Herzlich Willkommen im Harz: Den Geruch von Knoblauch in den Wäldern dieser Region werden wir wohl so schnell nicht vergessen. Wir brauchten nicht lange um festzustellen, dass es Bärlauch war, den die Menschen dort Säckeweise am Straßenrand pflückten. Der Nationalpark Hüter war aber auch schon zur Stelle und wies die Leute zu Recht. Eben beschriebene Laubwälder mit knall grünem Bärlauch-Teppich wechselten sich mit riesigen Fichtenwälder ab. Auch hier sieht man immer wieder Spuren von Trockenheit, Stürmen und Borkenkäfer Aktivität. Aber diese toten und verwüsteten Waldabschnitten finden Ihren Nutzen, so können Luchse, Wildkatzen, viele Vögel und Insektenarten hier ihre Jungen aufziehen. Langfristig betrachtet soll der Harz ein ausgewogener Mischwald werden und der Anteil an Fichten nur noch ein Drittel ausmachen. Die Radwege sind hier größtenteils geschottert aber auch mit viel Gepäck und nicht all zu dünnen Reifen gut befahrbar.
Weiterer Höhepunkt dieses Tages war die Stadt Goslar und seine Altstadt. Die Auszeichnung als UNESCO Weltkulturerbe hat sie unserer Meinung nach auf alle Fälle verdient. Noch die letzte Kurve durch den Tannenwald und eine Abfahrt später lagen noch ein Paar Kilometer flache Landstraße vor uns bis wir einen Garten-Schlafplatz in Wernigerode fanden.
Durch die Innen- und zugleich auch Altstadt von Wernigerode fuhren wir am nächsten Morgen. Unser Frühstück aßen wir direkt am Marktplatz und vor dem, so wurde uns gesagt, wohl schönsten Rathaus des Harzes. Kleine, schmale und kunstvoll verzierte Fachwerkhäuser reihen sich um diesen Platz. Den Aufstieg zum hoch über der Stadt gelegenem Schloss ließen wir auf Grund von dichten Wolken und Nebel an diesem Tag sein. Wir folgten dem R1 noch eine Weile über Blankenburg (im Harz) bis Neinstedt, fuhren vorbei an diversen kleinen und großen Schlössern und verließen den Radweg in Richtung Quedlinburg.
Wer schon zuvor durch Goslar und Wernigerode fuhr, brauch diesen Umweg eigentlich nicht machen. Wer jedoch ein Liebhaber von Fachwerkhäusern ist, der erlebt in Quedlinburg nochmal eine Steigerung an Detailreichtum und Filigranität. Mit den vollbepackten Fahrrädern sind die Altstädte eine kleine Herausforderung. Das Handling auf dem meist groben Kopfsteinpflaster ist nicht einfach und gleichzeitig dabei die Architektur zu betrachten noch weniger. Da Quedlinburg wirklich eine große Altstadt hat, nimmt man sich dafür also Bestenfalls einen Tag dafür frei und erkundet diese zu Fuß.
Wir verließen also nun den Harz und fuhren über Staßfurt, Nienburg und Köthen, vorbei an weiteren Schlössern bis nach Dessau. Die Region um Dessau hat ein wunderbar ausgebautes und asphaltiertes Radwegenetz. Hier kann man gut und gerne mehrere Wochen die Umgebung per Fahrrad erkunden. Kurz vor Dessau trafen wir durch Zufall einen Warmshowers Host der uns zu sich in den Garten einlud. Hier verbrachten wir einen wundervollen Abend mit grillen und erzählten uns viele Radfahr- und Wandergeschichten.
Am nächsten Tag machten wir nur wenige Kilometer mit dem Rad und erkundeten die Gegend rund um Dessau und Oranienbaum. Vorbei an alten Junkerbauten verließen wir die Stadt in Richtung Schloss Oranienbaum und fuhren in ein Biosphärenreservat. Hier trafen wir auch kurz nach unserer Ankunft den Hauptakteur an, den Biber. Ein Zaun umgibt seinen Biberbau und den daran grenzenden Teich, ob zum Schutz vor dem Mensch oder zum Schutz der Bäume vor dem Biber bleibt für uns ein Rätsel. Es scheint aber so als wäre dieser Biber doch freilebend. Nach wenigen Kilometer wechselte die Landschaft von Wald in Heide. Hier leben halbwegs frei Wildpferde, Heckrinder und sogar der Wolf soll hier wieder ein zuhause gefunden haben.
Am nächsten Morgen fuhren wir früh in Richtung Wörlitz und durch den Schlossgarten. Ein Mischmasch aus verschiedenen Stilrichtungen trifft hier aufeinander. In unseren Augen ist dies kein Muss für einen Zwischenstopp. Wir radeln von Wörlitz aus weiter auf dem Elberadweg (nicht Teil des R1-Radweg). Diesem folgen wir auf asphaltierten Wegen immer dem Elbe-Deich entlang bis nach Lutherstadt-Wittenberg. Auch hier wütet auf vielen Wasserflächen und am Wegesrand der Biber. Seine Spuren sind überall an den Bäumen zu sehen. In Wittenberg heißt uns schon von weit her die große Stadtkirche mit ihren zwei Glockentürmen Willkommen. Auf dem Marktplatz und vor dem Rathaus machen wir kurz Halt und genießen für einen Augenblick die Schmuckfassaden der umgebenden Gebäude, bis es weiter zur Schlosskirche geht, wo Luther einst seine 95 Thesen an die Türe schrieb.
Hier endet der Euroradweg für uns, denn wir wollen nicht Richtung Berlin. Unser Ziel ist die deutsch-polnische Grenze, also folgen wir Nebenstraßen, Wald- und Feldwegen bis nach Gorgast, etwa 30 km nördlich von Frankfurt (Oder). An diesen drei Tagen blieb uns vor allem eine kleine niedliche Raststation mit Gästebuch in Erinnerung, wo wir unsere Mittagspause machten, die 90 km Etappe durch Tannenwälder mit einem polnischen Holztransporter nach dem anderen und viel Abfall am Straßenrand aus Ländern deren Buchstaben und Sprache wir nicht beherrschen, sowie die ersten Kraniche die auf den Feldern nach Nahrung suchten.
Einen kleinen Ausblick auf die darauf folgenden Tage und den Oder-Neiße-Radweg, auch Deutschlandroute 12 genannt, findet ihr schon jetzt auf unseren Sozialen Medien und der Galerie auf unserer Homepage. Einen neuen Blog Beitrag für diesen Streckenabschnitt entlang der deutsch-polnischen Grenze und ob die polnischen Grenzbeamten uns einreisen ließen, folgt in den nächsten Tagen oder Wochen…
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